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Henry Rollins - lch bin ich

SPEX, 1996 / von CHRISTOPH GURK

Ein Treffen mit Henry Rollins ist schon ein Naturereignis. Selbst wenn man der Meinung ist, daß der Mann seine besten Jahre hinter sich hat, eine Diagnose übrigens, die durch sein neues Album 'Come On And Burn' nicht gerade aus der Welt geschaffen wird, so ist es ihm doch als einzigem Vertreter seiner Generation gelungen, eine auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete PERSONA zu entwickeln. Ob er nun als Autor für 'Details' in Erscheinung tritt, einmal im Jahr einen Band mit Gedichten oder Erzählungen veröffentlicht, gemeinsam mit Rick Rubin das superverdienstvolle Reissue-Label 'lnfinite Zero' betreibt, an der Seite von Al Pacino und Keanu Reeves vor der Kamera steht, eine Ausstellung mit Skulpturen seines alten Freundes Alan Vega unterstützt (siehe die Rubrik 'Verstarker' weiter hinten im Heft) oder die Bücher ehemaliger Weggefährten wie Joe Carducci in seinem eigenen, jetzt auch als Plattenfirma tätigen Verlag '2.13.61' herausbringt: Seine Hyperaktivität, gepaart mit einem intensiven Interesse an Geschichtsschreibung, an medienwirksamen Eingriffen, hat Henry Rollins vor dem traurigen Schicksal einer Hardcore-Legende bewahrt und ihn zu einer Person des öffentlichen Interesses werden lassen.

Mehr noch: Henry Rollins ist inzwischen eine all-amerikanische Ikone. Als solche ist er so sehr damit beschäftigt, eine Welt für sich zu verkörpern, daß Henry Rollins tatsächlich nur noch daraus besteht, KÖRPER zu sein. Wen interessiert es da noch, ob das teils neue Werk nun weniger oder mehr gelungen, wo es im Prinzip nur um die Herstellung von Selbstähnlichkeit geht? Rollins ist Rollins, eine Kampfmaschine, die sich gar nicht so anders als Madonna über die reine Physis von Haut, Fleisch, Knochen, Muskeln definiert, bis die sinnliche Erscheinung und das, was sie repräsentiert, identisch geworden sind.

In diesem Sinne ist Rollins eine STATUE, unbeugsam, unpenetrierbar, unverletzbar. Oder auch 'eine Ein-Mann-Armee in ständiger Alarmbereitschaft', wie Joy Press und Simon Reynolds in ihrem Buch 'The Sex Revolts' schreiben, wobei sich 'der Krieg nicht so sehr gegen äußere Bedrohungen als gegen Erniedrigung richtet: Sein eigener Körper und seine Seele sind das Kriegsgebiet.' Fragt sich nur, ob dieser Krieg noch in Verbindung mit den Zielen steht, die er Anfang der 80er Jahre als Sänger von Black Flag verfolgte - oder ob sich Rollins vom Anarcho-Punk zum autoritären Charakter gewandelt hat, der auf narzistische Kränkungen mit 'Law And Order' antwortet.


Henry, hast du in den letzen Jahren verfolgt, was dein alter Bandleader Greg Ginn heute treibt?

Sicher, aber ich verstehe überhaupt nicht, was er macht. Es war schon immer schwierig zu kapieren, was in seinem Kopf vorgeht. Niemand von Black Flag wußte es, niemand konnte vorhersagen, was er als nächstes tun würde. Was nun Gregs neue Sachen angeht stehe ich erst recht vor einem Rätsel. Die ersten fünf Alben habe ich mir gekauft, weil ich an allem interessiert bin, was er macht- bis es mir dann doch zuviel wurde. Ich verstehe nicht, auf welchen Sound er zielt; ich verstehe nicht, was die Texte sollen; ich verstehe nicht, was er mit der Musik will. Für meine Ohren klingt das nur nach unglaublich schlecht produziertem Punkrock. Neulich habe ich mal wieder bei seinen Eltern vorbeigeschaut. Das sind nette, bescheidene Leute, und ich habe sie gefragt: 'Wie geht's Greg? Was macht er?' Sie konnten es mir auch nicht sagen. Er meldet sich nie bei ihnen.

Vielleicht ist er verbittert.

Sehr gut möglich. Aber manchmal beschleicht mich auch das Gefühl, daß Greg ein Reaktionär geworden ist.

Ich denke, es geht einfach um eine 'Fuck You'-Attitude.

Das ist es doch, was ich meine. Greg ist 40 Jahre alt. In seinem Alter stellt er sich hin und sagt: 'I'm gonna outpunk everybody. Ich bin mehr Hardcore als jeder andere.' Lächerlich!

Wie gehst du denn mit deiner Vergangenheit um? Was unterscheidet die Haltung deiner neuen Platten von den Sachen, die du in den 80er Jahren gemacht hast?

Keine Ahnung. Ich tue, was ich zu tun habe. Erklären müssen das andere, wenn sie nichts Besseres zu tun haben.

Ist deine aktuelle Arbeit einfach eine Erweiterung und Fortführung der Figur, die du als Sänger von Black Flag geprägt hast?

Das kann man so sehen - nur mit dem Unterschied, daß ich totale Kontrolle über alles habe. Über die Musik, über meinen Körper, über die Show.

Wer ist diese Figur, die du auf deinen Platten und auf der Bühne verkörperst? Ist das der empirische Henry Rollins? Oder handelt es um eine literarische Gestalt, die zu dir in einer wie auch immer gearteten Verbindung steht?

Wenn ich in meinen Lyrics das Wort '!' oder 'Me' verwende, und das kommt fast immer vor, dann ist dies wortwörtlich so gemeint. Es geht um diesen Körper, um dieses Gehirn, das du vor dir siehst (hämmert mit der Faust auf seinen Brustkorb). Ich bin ich. Und niemand sonst!

Visuell schlüpfst du schon in andere Rollen. Vor allem Bullen scheinen dich zu faszinieren. Bei den Foto-Sessions fur das letzte Album 'Weight' hast du öfter in Uniform posiert, das Video zu 'Liar' zeigt dich als Cop und in 'Lost Highway', dem neuen Film von David Lynch, spielst du einen Gefängniswarter. Ist das eine Metapher auf den Kontrollfreak in dir? Ein Selbstzüchtigungstrip?

Ich hasse Bullen. Nicht alle, aber zumindest die Cops vom Los Angeles Police Department, mit denen ich zu Hause zu tun habe. Ich bin kein Krimineller, ich respektiere die Gesetze und ich zahle meine Steuern. Aber sie versuchen immer wieder, mich zu ficken. Sie beschimpfen mich, richten ihre Waffen auf meinen Körper, wollen mich in Schlägereien verwickeln und sie schieben mir Kokain Deals in die Schuhe. Das sind Schweine, und wenn ich in ihre Uniform steige, dann will ich einfach testen, wie es ist, auf der anderen Seite des Zaunes zu stehen.

Das kann man verstehen. Trotzdem mehren sich Stimmen, die dir vorwerfen, dein Krieg sei nichts anderes als 'Corporate Rebellion'.

Rebellion? Daß ich nicht lache! Ich rebelliere gegen gar nichts. Wäre ich ein Rebell, würde ich bestimmt nicht hier sitzen. Dann würde ich mit einer Wumme in der Hand rumlaufen und die Schweine killen. Im Musikgeschäft gibt es keine Rebellion.

Dann kann es dir wohl auch egal sein, wenn du mit deiner Band beim 'Lollapalooza'-Festival auftrittst. Das ist doch der Ort, wo sich die Leute am meisten in die Tasche lügen, ohne sich einzugestehen, daß gerade hier der Wunsch nach Anderssein konsequent fur 'Corporate Interests' ausgebeutet wird.

Da hast du recht, und du wirst nie mehr erleben, daß die Henry Rollins Band da auftritt. Das ganze Gerede von 'Alternative Values' ist ein Riesenbetrug. Ich will nichts damit zu tun haben. Was wir machen, steht für sich selbst, und ich repräsentiere nichts anderes als mich selbst. Scheiß auf den Rebellenkram! Mir geht es nur um Individualität und Selbstausdruck.

Wie geht das mit deinem Punkrock Ethos zusammen? Zumindest Black Flag waren eine Band mit klar anarchishscher Stoßrichtung.

Ich war nie ein Punk. Sex Pistols? The Damned? UK Subs? Daß ich nicht lache! Alles, was Hardcore geleistet hat, war im Grunde immer gegen diese Auffassung von Punk gerichtet. Gegen Leute, die glauben, die Gesellschaft zu attackieren und in Wahrheit schon wieder Regeln für andere aufstellen. Bist du so gekleidet oder so? Hörst du auch die richtige Musik? Hey Mann, du bist gar kein richtiger Punk! Das reine Spießertum. Die können mich alle am Arsch lecken!

Fühlst du dich denn für dein Publikum verantwortlich?

Nur solange ich auf der Bühne stehe. Wenn du mir nachweisen kannst, daß ich einmal nicht alles gegeben habe, nicht hundertfünfzigprozentig da gewesen bin, dann tritt mir in den Arsch. Aber mach mich bloß nicht für den Zustand der Welt verantwortlich. Daran tragen andere die Schuld. Nicht ich!

Würdest du dich als unpolitisch bezeichnen?

Mir geht es um Personal Politics. Aber was machst du? Ich glaube, die Leute haben einfach zu viel Zeit. Sie sitzen in der Gegend rum und reden, reden, reden. Ich dagegen mache harte Arbeit - wenn's sein muß bis zu 20 Stunden am Tag. Ich schreibe Songs, probe mit meiner Band, trete auf, produziere Platten anderer Leute, ich trainiere, bringe Platten und Bücher raus, verfasse selber welche, trage sie vor - und am Ende des Jahres schicke ich dir ein Fax. Da steht alles drin, was ich die letzten 12 Monate gemacht habe.

Na dann gibt's wohl nichts mehr zu sagen.

Oh doch! Wir haben noch gar nicht über die neue Platte geredet. Die wird dir den Hals brechen, wenn du sie auflegst. Und soll ich dir noch was sagen? Auf der Bühne klingt sie sogar noch besser. Wenn wir im April nach Deutschland kommen, nimmst du besser die Beine in die Hand: You better RUN!




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Der König Unbrauchbarer Information
YHenry Rollins und das neue Album seiner Rollins Band


Neue Züricher Zeitung, 13.03.1997

Der Sänger Henry Rollins, der mit Black Flag zur Hardcore-Ikone wurde veröffentlicht mit seiner Rollins Band ein neues Album 'Come in And Burn'. Daneben hat er allerdings eine Menge anderes zu tun.
Henry Rollins lebt in New York, und er Iebt allein. Er hat keine Frau, keine Freundin, keine Kinder und einen sehr übersichtlichen Freundeskreis. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens sagt Rollins über sich selbst, er sei 'einer der regierenden Könige unbrauchbarer Information' und wenn er anfange, über zwei unterschiedliche James-Brown-Aufnahmen zu parlieren, könne er zusehen, wie seine Umgebung direkt vor ihm in tiefen Schlaf sinke. Und 'man kann keine Frau aufreissen, indem man ihr neun Stunden unveröffentlichte Charlie-Parker-Aufnahmen vorspielt'. Zweitens hat Rollins einfach keine Zeit für andere Menschen. Er hat viel zu tun. Henry Rollins ist Sänger, Verleger, Schriftsteller, Label-Chef, Schauspieler, Photomodell und Spoken-Word-Veteran. Und er muss viel trainieren.


Vorbild im Vorprogramm
Das mit dem Singen begann, als er 1981 als 20jähriger bei einem Auftritt der Hardcoreband Black Flag das Mikro zu fassen bekam, hinein brüllte, vom Fleck weg als Sänger engagiert und in der Folge zu einer Ikone der Hardcore-Punk Bewegung wurde. Nachdem sich Black Flag 1986 aufgelöst hatte, gründete Rollins im Jahr darauf die Henry Rollins Band und hat mit ihr seither mehrere Alben veröffentlicht. Einmal, 1992, schaffte er es mit 'The End Of The Silence' kurz in die Charts, aber alle seine Platten machten ihn nie zu einem Rock'n'roll-Schwerverdiener, sondern zementierten ihn als ein aufrechtes Idol politisch korrekter Rockmusik, als einen, der nicht nachlässt und der seine Ideale nicht verkauft. Rollins ist ein Mann, den jüngere MTV-Stars wie Eddie Vedder von Pearl Jam gern als Vorbild nennen; aber weiter als in deren Vorprogramm hat er es nie geschafft.

Rollins ist stur, Rollins bleibt sich treu, Rollins tut nur, was er will, komme, was wolle. Das beweist er auch auf seinem soeben veröffentlichten neuen Album 'Come In And Burn'. Man wünscht sich, er würde vielleicht doch ein klein wenig von seinen Prinzipien abgehen: Der schwere, treibende, geknüppelte Metal-Core neigt in seiner Unversöhnlichkeit allmählich dazu, ein wenig abgedroschen und altmodisch zu klingen, nicht mehr ganz von dieser Welt. Ausserdem hat Rollins, auch wenn er das Gegenteil behauptet, den Übergang vom Gebrüll zum Gesang noch immer nicht vollzogen. Aber seine Musik war immer live auf der Bühne am intensivsten, da ist er Kraft und Charisma pur, wenn er seine Songs eher rausschwitzt denn singt.

Der 36jährige ist eine eindrucksvolle Figur. Er verfügt über einen Hals wie ein Baumstrunk, ein entschlossen viereckiges Kinn, die Muskulatur eines 'Mr. Universe'-Anwärters und drei oder vier Dutzend Tätowierungen - unter anderem das berühmte 'Search & Destroy'-Tattoo, das seinen gesamten Rücken ziert. Er zeigt für gewöhnlich wenig Anstalten, seinen Mund mit einem Lächeln zu verunstalten. Rollins verkörpert gebündelte Kraft, Selbstdisziplin und sture, zielgerichtete Entschlossenheit: der exakte Antipode zur lost generation und zu den vielzitierten Slacker-Kids.


Heny Rollins



Fabelhafter Erzähler
Er hat mit introvertierten Selbstbemitleidungen nie Zeit vergeudet, auch nicht, nachdem sein langjähriger bester Freund Joe Cole vor seinen Augen erschossen worden ist; Rollins, wenn er denn Verletztheit und Introspektion zeigt, tut das laut und kraftvoll in Hunderten von Spoken-Word-Auftritten, die teilweise auf CD erschienen sind: Da entpuppt er sich als fabelhafter, engagierter Erzähler, dem es gelingt, sein Publikum mitzureissen und in Bann zu ziehen. Diese Spoken-Word-Sache habe sich neben dem Umstand, dass sie ihm die Therapie ersetzt, daraus entwickelt, 'dass ich eine 45-Minuten-Geschichte über einen Flug mit einem übergeschnappten Piloten eben nicht in einem Drei-Strophen-Songtext erzählen kann'. Und 'der einzige Mensch, der einen Song mit neun Strophen singen kann, und ich höre ihm trotzdem noch zu, ist Bob Dylan'.

Aus seiner schriftstellerischen Seite hat sich schliesslich Rollins' Verlag 2.13.61 (sein Geburtsdatum) entwickelt; in dem er zuerst nur eigene Texte veröffentlichte, später auch Bücher von Iggy Pop oder Alan Vega, Photo- und Kunstbände. Kürzlich erschien bei 2.13.61 'Dear, dear Brenda', die bisher unveröffentlichten und, wie Rollins stolz sagt, 'letzten Worte, die Henry Miller geschrieben hat': Liebesbriefe an seine letzte Freundin nämlich. 1995 wurde aus 2.13.61 auch ein Label, auf dem Rollins ausschliesslich Musik herausbringt, die ihn persönlich begeistert: 'Es ist mir egal, ob sich damit Geld machen lässt oder nicht.' Ein zweites Label, 'Infinite Zero', eine Warner-Bros-Division, leitet er gemeinsam mit 'American Recordings'-Boss Rick Rubin, wobei man sich darauf konzentriert, 'in den Warner-Archiven herumzustöbern, alte Platten abzustauben' und diese auf CD und mit anständigen Liner-Notes versehen neu herauszubringen: Gang Of Four etwa, Devo oder Tom Verlaine. Es gehe ihm dabei um 'Gerechtigkeit für diese Musik', die das Pech gehabt habe, vor der Erfindung der CD erschienen zu sein, und nun entweder vergriffen sei oder auf Flohmärkten vor sich hin modere.

Daneben fand Rollins noch Zeit, für MTV eine Zeitlang die Sendung 'AIternative Nation' zu moderieren, für GAP-Werbekampagnen Modell zu stehen und als Schauspieler Nebenrollen in grossen Hollywood-Produktionen zu spielen: Unter anderem war er im Al-Pacino-Film 'Heat' als Polizist zu sehen. 'Ich finde das Schauspielern ganz o. k.', sagt Rollins, 'aber ich liebe es nicht.' Das Gute daran sei vor allem, dass man "mit 80 sagen kann: 'AI Pacino? Oh, ich kannte Al Pacino. Er hat mich mal in den Arsch getreten'"



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